· 

Inter, Divers und Trans - Babylon in Karlsruhe

eine private Umfrage

Wie sieht eigentlich ein intersexuelles Genital aus? Und wie häufig kommt es vor?

Wenn ich Freunde und Bekannte frage, so wirken sie manchmal unangenehm berührt. Wenn ich überhaupt eine konkrete Antwort bekomme, ist sie meist falsch. Manche glauben, Intersexuelle hätten ein männliches UND ein weibliches Geschlechtsteil. Eins oben, eines weiter unten...

Diese Umfrage ist natürlich nicht repräsentativ. Aber ich glaube, viele wollen es lieber nicht so ganz genau wissen. Ein Hauch von Tabu liegt in der Luft.

Was im Vordergrund steht

Gender-Aktivisten dagegen drängen auf verschiedenen Wegen in die Öffentlichkeit. Allerdings nicht unbedingt im Sinne einer sachlichen Aufklärung. Es geht vielmehr um identitätspolitische Aspekte. Es geht um die Abschaffung der alten Normalität. 

Die Medien greifen das Thema oft dankbar auf. Spektakuläre Schlagzeilen bieten sich an. Vor allem, wenn hochrangige Gerichte ganz grundlegende Dinge entscheiden und altgediente Weltbilder auf der Kippe stehen.

Kennen Sie Vanja?

Vanja hat so Einiges in´s Rollen gebracht. Vanja fühlte sich weder als Mann noch als Frau. Vanja wollte diesen Status auch formal bestätigt bekommen - im Geburtenregister. Dort sollte "divers" oder "inter" oder irgendetwas Vergleichbares stehen. Für Vanja war es unerträglich, nur die Auswahl zwischen "männlich" oder "weiblich" oder gar keinem Eintrag zu haben. Vanja wollte nicht als NICHTS definiert sein.

Vanja bewies Ausdauer und klagte durch alle Instanzen. Der Bundesgerichtshof hatte beschlossen, eine Eintragung wie „inter“ oder „divers“ als Angabe des Geschlechts im Geburtenregister nicht zuzulassen. Doch vor dem Bundesverfassungsgericht (im Weiteren BVG) bekam Vanja Recht. Das Urteil ging durch die Presse und hatte erhebliche Konsequenzen. 

1 BvR 2019/16 vom 10.10.2017

Das BVG erklärte, die geschlechtliche Identität aller Menschen sei geschützt, auch wenn sie sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen sei (2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). 

Das Grundgesetz schütze auch Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, vor Diskriminierungen wegen ihres Geschlechts Art. (3 Abs. 3 Satz 1 GG).

Aus diesen allgemeinen, unbestreitbaren Rechten leitete das BVG die Notwendigkeit ab, einen weiteren positiven Eintrag im Geburtsregister zuzulassen. So weit, so gut. Da ist nichts zu bemängeln.

was das Gericht nicht gesagt hat

Für den Laien und für die Presse stand somit fest, dass dieses Urteil auch Vanja selbst eine sexuelle Identität abseits von Mann und Frau bescheinigt. Doch findet sich diesbezüglich keine Aussage im Urteil. Das BVG bestätigte lediglich die Vorlage einer Chromosomenanalyse. Dort stünde, dass Vanja über einen "auffälligen Chromosomensatz mit einem X-Chromosom und einem fehlenden weiteren Gonosom" verfüge.

Zu einem Gonosom kann man genau so gut Geschlechtschromosom sagen. In der Regel gibt es 2 Geschlechtschromosomen - XY bei Jungen, XX bei Mädchen. Vanja hatte aber nur ein X. Was ist man also, wenn man nur ein einziges X-Chromosom hat?

Menschen mit Turner-Syndrom sind nicht intersexuell

Menschen, die nur ein Geschlechtschromosom haben, haben ein sogenanntes Turner-Syndrom. Die Geschlechtsorgane sind bei Menschen mit Turner-Syndrom eindeutig weiblich. Eine Vulva, eine Scheide, eine Gebärmutter und zwei Eierstöcke. Sie haben keinerlei Merkmale, die an einen Jungen erinnern.

Im Verlauf kommen Besonderheiten hinzu. Menschen mit Turner-Syndrom sind oft kleinwüchsig. Die auffällig länglichen Eierstöcke sind nicht voll funktionsfähig. In aller Regel entwickeln sich keine sekundären Geschlechtsmerkmale. Die Brüste bleiben flach, die Monatsblutung setzt nicht ein, die Fruchtbarkeit bleibt aus.

Menschen mit Turner-Syndrom sind Frauen mit einer gestörten Geschlechtsentwicklung. Sie sind aber nicht intersexuell.

eine Behandlung mit Geschlechtshormonen kann Veränderungen herbeiführen

auch bei Menschen mit Turner-Syndrom

Durch eine Behandlung mit weiblichen Geschlechtshormonen können sich auch bei Frauen mit Turner-Syndrom Brüste entwickeln. Aber warum soll es nur in diese Richtung gehen?

Schließlich haben auch Frauen mit Turner-Syndrom das Recht, ihr Erscheinungsbild mithilfe von männlichen Sexualhormonen zu beeinflussen.  Mithilfe von Androgenen lassen sich Merkmale wie z.B. ein Vollbart herbeiführen. Diese Merkmale sollten aber nicht als Hinweis auf Intersexualität fehlinterpretiert werden.

Vanja ist nach Angaben des BVG eine Frau mit gestörter Geschlechtsentwicklung, die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren konnte. Menschen, sich die "im falschen Körper" fühlen, nennt man transsexuell. Vanja ist nach den Angaben des BVG nicht intersexuell sondern transsexuell. Darin steckt keine Wertung. Aber es gehört richtig gestellt.

Die Presse ist nicht immer hilfreich...

Auch die Presse verwechselte Intersexualität und Transsexualität. Überall wurde unkritisch über das Urteil berichtet.


Herr Bittner und praktisch alle seine Kollegen hinterfragten in keiner Weise die durchaus fragwürdige Intersexualität Vanjas. Herr Bittner bestand in der renommierten ZEIT sogar darauf, dass es in keiner Weise um Transsexualität ginge.

Herr Bittner feierte die Sichtbarwerdung von Frauen mit Turner-Syndrom als "zwischengeschlechtlich". Man reibt sich verwundert die Augen. Ein Minimum an Recherche hätte Herrn Bittner vor diesem peinlichen Jubel bewahrt. Ein kurzer Blick in Wikipedia hätte gereicht, um skeptisch zu werden. Aber zu groß war wohl das Vertrauen in das BVG, zu knapp die Zeit, und zu verlockend die spektakuläre Schlagzeile.  

ungenügende Quellen und falsche Zahlen

Ebenso unkritisch übernahmen Herr Bittner und praktisch alle seine Kollegen die BVG-Angaben zur Häufigkeit der Intersexualität:

Und? Fällt Ihnen jemand ein? Haben Sie jemand "im Verdacht"?

Als Kinderarzt ist man vor den Kopf gestoßen. Jedes 500. Neugeborene ist intersexuell?! Wo sind all diese Kinder? Ich hätte bei ungefähr 15.000 Neugeborenen-Vorsorgeuntersuchungen 300 intersexuelle Kinder finden müssen? Ich habe immer ziemlich genau hingeschaut. Habe ich sie trotzdem alle übersehen...? Ich war gut vorbereitet. Ich hätte gewusst, was im Fall der Fälle zu sagen und was zu tun wäre. Aber es war keins dabei. Entweder ich war 20 Jahre lang blind, oder die Zahl stimmte nicht.

Ich befragte meine kinderärztlichen und neonatologischen Kollegen. Was hielten Sie von dieser Häufigkeitsangabe? Alle schüttelten mit dem Kopf. Höchstens ein paar wenige hätten sie gesehen. Ein äußerst erfahrener Kollege hatte schon 4 oder 5 herausgefischt. Aber 1 von 500? Diese Häufigkeitsangabe schien allen vollkommen absurd. 

Ich machte mich auf die Suche nach der Quelle dieser absurden Zahl. Ich wurde fündig. Das BVG erwähnt einen Zweizeiler aus dem medizinischen Wörterbuch "Pschyrembel". Ich schaute in meiner eigenen Ausgabe nach. Schon 1993 fand sich im Pschyrembel ein seither unveränderter lakonischer Eintrag ohne jegliche Angabe von Quellen. So einfach kann man sich´s als Richter machen?

Ich recherchierte. Ich schrieb Leserbriefe. Doch mein Protest gegen diese Zahl wurde von der Presse reflektorisch abgewehrt. Das BVG hätte ausreichend Quellen für die Häufigkeit der Intersexualität aufgeführt. 

Tatsächlich werden in der Urteilsbegründung noch weitere Quellen erwähnt:

  • Schmidt am Busch, AöR 2012, S. 441
  • Johow/Voland, APuZ 2012, S. 9 <12 f.>
  • Helms, Brauchen wir ein drittes Geschlecht?, 2015, S. 3 m.w.N.
  • Bundesärztekammer, a.a.O., S. 4
  • vgl. auch Althoff/Schabram/Follmar-Otto, Gutachten Geschlechtervielfalt im Recht - Status quo und Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt, BMFSFJ (Hrsg.), 2017, S. 18 und Fn. 39) 

Das klingt erstmal beeindruckend. Je mehr Quellen, desto glaubwürdiger. Je mehr Quellen, desto sicherer. Oder? Ich habe alle Quellen angeschaut. Alle Arbeiten sind lediglich ethische und juristische Gutachten, welche die Häufigkeit der Intersexualität dem Pschyrembel entnommen haben. Wertlos.

Eine einzige medizinisch Quelle wird noch erwähnt. Ein Pathologie-Lehrbuch aus dem Jahr 2012. Pathologen gelten nicht gerade als Experten auf dem Gebiet der Intersexualität. Warum also gerade ein Pathologie-Lehrbuch? Endokrinologen oder Kinderärzte  wurden nicht befragt.  

über die "richtige" Zahl

Wenn man ehrlich ist, dann gibt es letztlich keine eindeutig richtige Zahl für die Häufigkeit der Intersexualität. Das Thema ist komplex. Selbst das Wort "Intersexualität" wurde schon vor dem Urteil aktiv aus dem offiziellen medizinischen Wortschatz gestrichen. Das wurde zwar nicht von allen Fachleuten begrüßt, verhindert aber recht zuverlässig weitere Studien über deren Häufigkeit. 

Bezüglich eines nicht-eindeutigen Genitals wird in Studien meist eine Häufigkeit von ca. 1:5.000 geschätzt. Das entspricht nach meiner "Umfrage" ungefähr der kinderärztlichen Erfahrung. Doch nicht alle Kinder mit zunächst uneindeutigem Genital sind "dauerhaft" intersexuell. Die eigentlich Zahl liegt jedenfalls niedriger.

Warum dieser Post?

Natürlich gibt es Menschen, die dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind. Manche Betroffene entscheiden sich dennoch für eine männliche oder für eine weibliche Identität. Für die, die das nicht wollen, ist ein positiver Eintrag der Geschlechtsbezeichnung im Geburtenregister absolut begrüßenswert. 

Was aber in keiner Weise begrüßenswert ist:

  1. Die Öffentlichkeit wurde über die Häufigkeit der echten Intersexualität von höchster Stelle grob fehlinformiert. So kann falsches "Allgemeinwissen" erzeugt werden.
  2. Die Presse hat die falschen Zahlenangaben des BVG-Urteils unkritisch und offensiv weiterverbreitet.
    Zu Herrn Bittners Ehrenrettung sei gesagt, dass er in der ZEIT das Thema der Häufigkeit noch einmal (schüchtern) aufgegriffen hat.
  3. Es wurde zudem behauptet, Menschen mit Turner-Syndrom seien intersexuell, obwohl das sicher nicht zutrifft.
    Hier war z.B. Herr Bittner von der ZEIT nicht mehr zu weiteren Beiträgen zu bewegen.
  4. Es wurde trotz der Tragweite des Themas nicht zwischen "Intersexualität" und "Störung der Geschlechtsentwicklung" differenziert.
  5. Es wurden Transsexualität und Intersexualität vermischt. Diese beiden komplett verschiedenen Dinge werden auch in der Szene recht sauer auseinandergehalten. Die "Trans-Gruppe" ist wesentlich größer. 

über die versuchte Demontage einer Normalität

Der Laie kennt sich im Gender-Dschungel nicht mehr aus. Das binäre Weltbild wird vor seinen Augen lustvoll demontiert. 

Angesichts sehr seltener Ausnahmefälle hat dies auf individueller Ebene eine gewisse Berechtigung. Aber die Tatsache, dass die Menschen ihre Existenz allesamt der Vereinigung einer eindeutig männlichen Samenzelle mit einer eindeutig weiblichen Eizelle verdanken, verleiht dem "binären System" eine absolut berechtigte Normalität. Diese gesellschaftliche Normalität wird aus einer individuellen Perspektive heraus von vielen Gender-Aktivisten unnötig verachtet und bekämpft. 

Was wollen die Antreiber?

Was haben eigentlich die Gender-Aktivisten zum BVG-Urteil gesagt? Haben sie gefeiert? Sind sie zufrieden?

Den Standpunkt der Interessensvertreter haben die BVG-Richter in ihrer Urteilsbegründung folgendermaßen zusammengefasst (jeweils wörtliche Widergabe):

Bundesvereinigung Trans*

Die Bundesvereinigung Trans* plädiert für die Schaffung eines dritten Personenstands, dessen Zugang einzig auf individueller Selbstbestimmung und Selbstdefinition beruhen und allen Menschen hürdenlos zugänglich sein sollte.

Langfristig solle die registerliche Erfassung von Geschlecht ganz abgeschafft werden, da die Erhebung von Geschlecht als Kategorie im Personenstandsrecht von Personen, deren Identität ihrem zugewiesenen Geschlecht entspreche, meist kaum wahrgenommen werde und nur notwendig sei, solange für unterschiedliche Geschlechter unterschiedliche Rechte gälten.

TransInterQueer

Der TransInterQueer hält die Einführung einer dritten Geschlechtskategorie nicht für weitgehend genug, weil es nicht möglich sei, einen passenden Begriff für alle Menschen zu finden, die sich jenseits binärer Geschlechtsangaben verorteten.

Die Einführung einer starren „dritten Option“ stelle einen Umweg dar, der das eigentliche Ziel der Abschaffung einer personenstandsrechtlichen Registrierung des Geschlechts weiter hinauszögere. 

Wird die Geschlechtsbezeichnung abgeschafft?

Dies ist zumindest das erklärte Ziel der "nicht-binären" Interessensvertreter (s.o.). 

Ironischerweise würde sich dann z.B. die Diskussion über Gender-Quoten erübrigen. Der Bundestag bestünde nämlich nicht mehr aus Frauen, Männern und Diversen, sondern nur noch aus "Menschen".

Und die absolute Mehrheit der Menschen würde ihre ureigenste Normalität und damit eine kollektive Identität verlieren. 

Ein Wunsch

Es wird viel Energie aufgewendet für dieses Thema. Manchmal wünsche ich mir, wir würden diese Energie nicht gegeneinander, sondern miteinander investieren. Nie dagewesene Krisen bedrohen unsere Lebensgrundlagen. Unser Haus brennt. In einem brennenden Haus macht der Streit um Details wenig Sinn. Besser wäre es, sich gemeinsam um das Wesentliche zu kümmern. 

In diesem Sinne Danke für´s Lesen :)

Write a comment

Comments: 0