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Unser Körper, unsere Erde


Ein Dilemma

Die Ehe für alle hat alle Paare gleichgestellt. Jede*r kann zu jede*m*r ja sagen. Das ist inzwischen weit verbreitet. Viele Länder erlauben es. Das ist gut so. Alleine die Biologie ist ihren Teil schuldig geblieben. Sie hält stur daran fest, nur gegengeschlechtliche Paare mit leiblichen Kindern zu segnen.

Wenn z.B. zwei Frauen von ihren gemeinsamen Kindern erzählen, so wird der unsichtbare Dritte gerne verschwiegen. Denn selbst wenn die eine die Eizelle der anderen austrug, so wurde diese zwischendurch befruchtet. Und für die Befruchtung brauchts immer noch die Männer. 

Zwei Männer hätten zwar den Samen, aber keine befruchtbare Eizelle. Von daher sind auch ihnen gemeinsame leiblich Kinder verwehrt. Noch. 

Was noch nicht ist, das kann ja noch werden. Dürfen gleichgeschlechtliche Paare auf Erfolge der Reproduktionsmedizin hoffen?

Die genetische Ausstattung zweier Männer beinhaltet immerhin alles, was ein neuer Mensch braucht. Man müsste die Chromosomen zweier Samenzellen in eine Art künstliche Eizelle packen. Das würde die sexuelle Fortpflanzung, also die Durchmischung des elterlichen Erbguts, nahezu perfekt simulieren. Man könnte Jungen oder Mädchen machen, ganz nach Belieben. 

Bei zwei Frauen gäbe es eine leichte Einschränkung. In Ermangelung eines y-Chromosoms könnten aus einer Fusion zweier Eizellen nur Mädchen entstehen. Doch dieser Schönheitsfehler wäre kein ernsthafter Einwand. Es ginge - angesichts der verblassenden Bedeutung der leiblichen Abstammung – ohnehin nur um ein Symbol, um den Beweis des Prinzips.

Denn für viele progressive Menschen ist zunehmend oder alleine die gemeinsame Fürsorge entscheidend. 2 Mamas brauchen keinen zusätzlichen Papa für ihre gemeinsamen Kinder. Sie sind als Elternpaar komplett. Warum sollte irgendeine Nervensäge nach dem leiblichen Vater ihrer Söhne und Töchter fragen? 


noch ein Dilemma

Söhne, Töchter, Jungen, Mädchen? Wem das Ganze bislang zu binär erscheint, der sei darauf hingewiesen, dass es gar nicht so einfach ist, diverse Menschen zu zeugen. Man braucht sehr spezielle Eltern oder sehr viele Versuche, um ein uneindeutiges Kind zu machen.

Doch Uneindeutigkeit im klassischen Sinne ist für viele nicht mehr der Punkt. Die Begriffe „divers“ und „Geschlecht“ werden derzeit eifrig erweitert. Über die reine Körperlichkeit hinaus kommt zunehmend die Seele ins Spiel. Selbst zeugungsfähige Männer oder gebärende Frauen können geschlechtlich uneindeutig sein, wenn man diese Messlatte anlegt. 

Die Zuordnung des Neugeborenen zu einem bestimmten Geschlecht kann unter diesem Gesichtspunkt allenfalls mit Vorbehalt getroffen werden. Jeder kann alles werden. Der Zeitpunkt des Outings ist dabei variabel. Es ist nie zu spät. Es kann auch mehrere Outings geben. Eindeutig festlegen ließe sich das Geschlecht wohl erst im allerletzten Moment  eines Menschenlebens.


noch eins...

Die Wörter „Mann“ und „Frau“ werden für Uneingeweihte zunehmend gefährlich. Wer unter Frauen noch diejenigen Menschen versteht, die mit dem entsprechenden Zubehör geboren wurden, droht diejenigen (Trans-)Frauen zu verletzen, denen dieses Glück nicht vergönnt war.

Akzeptiert man letztere aber ohne Einschränkung als das, was sie zu sein wünschen, so fürchten die klassischen Frauen um die vertraute Geborgenheit unter ihresgleichen. Dürfen Transfrauen in´s Frauenhaus? Oder in´s Frauengefängnis? Sind das nicht eigentlich Männer? Traditionelle Feministinnen und vermeintliche Männer, die sich als Transfrauen entpuppten, sind sich nicht grün. Auf welche Seite soll man sich schlagen?


Eine Lösung für alles - das Tabu

Am besten man redet nicht mehr drüber. Weder über das Geschlecht noch über die leibliche Abstammung. Das gibt nur Ärger. Vielleicht sollten wir beide Punkte in die wachsende Familie der neuzeitlichen Tabus aufnehmen?

Die neuen Tabus unterscheiden sich nicht wirklich von den alten. Sie haben etwas mit dem zu tun, was in wissenschaftlichen Kreisen als „Fortpflanzungsbiologie“ bezeichnet wird. Diese Theorie soll u.a. die Entstehung und Erhaltung von Arten erklären. 

Die sexuelle Vermehrung spielt in der Fortpflanzungsbiologie der Pflanzen und Tiere eine zentrale Rolle. Sie soll auf dem Weg der ständigen Durchmischung Vielfalt und Anpassungsfähigkeit fördern. Für einige konservative Geister ist das noch immer eine harte Realität.

Um das zu entschärfen, wird das Geschlecht zunehmend von der Fortpflanzung abgekoppelt und ins Gehirn verlagert. Dort findet zwar keine echte leibliche Fortpflanzung statt, aber immerhin gilt das Gehirn als organische Grundlage der gefühlten Identität. 

Jeder hat das Recht auf eine eigene Identität. Denn erst die eigene Identität macht den Menschen zu etwas Besonderem. Also hat auch jeder das Recht auf sein gefühltes Geschlecht?


jeder ist besonders

Besonderheit ist das richtige Stichwort. Wir, die Menschen, fühlen uns schon lange als etwas recht Besonderes. Das steht schon in der Bibel. Nachdem wir die irdischen Lebenswelten erobert hatten, legitimierten wir diesen evolutionären Erfolg mit einem göttlichen Auftrag. Gott befähigte und beschützte uns gleichermaßen. Gott zeigte uns den Weg. Er hatte ein Auge auf uns geworfen. Auf jeden einzelnen.

Selbst als die Erde an den Rand einer unbedeutenden Galaxie rückte, und der Mensch in die unmittelbare Nähe des Schimpansen, blieben wir Gottes exklusiver Partner. 


gute Seele, böser Körper

Mittlerweile bekommt Gott ernsthafte Konkurrenz, zumindest in Teilbereichen. Bis vor Kurzem war er der einzige ernst zu nehmende Garant für eine körperlose Existenz jenseits von Mutter Natur. Denn im Gegensatz zur Leibeshülle ist die Seele unsterblich. Der Gott Abrahams gab dieser Seele eine überirdische Heimat. Andere Götter taten das Gleiche.

Doch einseitige Abhängigkeiten sind auf Dauer unbefriedigend. Selbstwirksamkeit ist das Gebot der Stunde. Können wir die Seele, also den Kern unseres Seins, nicht auch ohne Gottes Hilfe aus seiner irdischen Hülle befreien?

Als Transfrauen werden ja Menschen bezeichnet, deren Körper eindeutig auf männliche Sexual-Funktionen schließen lassen, die sich aber im tiefsten Innern als Frau fühlen. Da sie ihrem Gefühl vertrauen, wollen sie auch als Frau angesprochen werden, übrigens unabhängig vom Gefühl des Gegenübers. "Im falschen Körper geboren" wurde zum geflügelten Wort für diese Konstellation.

Können wir also die weibliche Seele nicht auch aus eigenen Kräften vom Körper des Mannes loslösen? Ohne Gott, im Hier und Jetzt? Das wird zumindest häufig gefordert und auch immer häufiger praktiziert. Es gibt mehrere Wege. 

Manche wollen Nägel mit Köpfen machen. Sie versuchen, den Körper in die gewünschte Richtung zu verändern. Man kann Hormone nehmen. Weibliche Rundungen werden wahlweise hervorgerufen oder beseitigt. Eine dauerhafte Behandlung sichert den Erfolg. Doch unbekleidet zeigen sich immer noch verräterische Details. Daher lassen einige Menschen den Körper an entscheidenden Stellen chirurgisch umformen. Seine Launen werden ihm gleichsam ausgetrieben. Häretiker vermuten darin eine neue Form des Exorzismus.

Andere geben sich mit weniger einschneidenden Maßnahmen zufrieden, zum Beispiel mit einem standesamtlichen Eintrag, der das gewünschte Geschlecht behördlich bestätigt. Das ist in jedem Fall einfacher und weniger riskant. Man bleibt zudem flexibel.

Die einfachste Version ist es, lediglich sein Outfit dem inneren Gefühl anzupassen und fortan in der ersehnten Geschlechterrolle aufzutreten, ohne medizinische oder behördliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.


Die Not der Kirchen

Die Amtskirchen tun sich bekanntlich schwer mit der neuen Konkurrenz im Leib-Seele-Dualismus. Sie halten den Körper für eine Leihgabe Gottes. Und da soll er sich geirrt haben? Bis vor Kurzem konnten die Kirchen die Transsexualität noch ins Reich der seelischen Erkrankungen abschieben und großzügig ihre Fürsorge anbieten. Doch selbst die Wissenschaft traut sich kaum noch, diese Sichtweise zu stützen. 

Die Schonfrist der Kirche ist jedenfalls vorbei. Immer mehr ihrer eigenen Schäfchen wollen ihre Seele auf zweierlei Art vom Körper befreien. Die Kirche soll sich gefälligst modernisieren. Nicht nur gleichgeschlechtliche Paare beanspruchen ihren Segen, auch transsexuelle Menschen suchen dort zunehmend Anerkennung für ihre just befreite Seele. 

Nun könnte man sich fragen, warum sich derart moderne Menschen überhaupt in das enge Korsett einer Jahrtausende alten Tradition hineinpressen wollen. Haben sie nicht eindrucksvoll bewiesen, wie man sich von überkommenen Sichtweisen emanzipiert? Vielleicht ist es wie beim Brandschutz. Zwei Fluchtwege sind besser als einer. Seele flieht vor Körper. Doppelt gemoppelt hält besser. 


und die Moral von der Geschicht`?

Eine pauschale Beurteilung von Einzelfällen verbietet sich. Jeder Mensch hat eine eigene Geschichte. Jeder Mensch wird in vielerlei Hinsicht von innen und von außen bedrängt. Jeder Mensch findet seine eigene Lösung für eigene Probleme.

Aus der ideengeschichtlichen Vogelperspektive darf man sich aber getrost fragen, ob die versuchte Loslösung vom irdischen Reich des Organischen und die damit verbundene babylonische Sprachverwirrung im Geschlechterwesen nicht Ausdruck eines eskalierenden, artspezifischen Narzissmus sind. 

Der Mensch neigt zur Selbstüberschätzung. Das betrifft sowohl einzelne Personen als auch die ganze Art. Wir wollen uns außerhalb unseres Stammbaumes sehen. Den Platz, den uns die Wissenschaft dort zuweist, halten wir noch immer für eine Zumutung.

Doch keine Angst, wir bleiben auch auf diesem Platz etwas Besonderes. Wir haben die Erde von Pol zu Pol besiedelt, wir können Blauwale und Eisbären töten, wir lassen Maschinen für uns arbeiten und schreiben Gedichte. Wir können fast alles. Wir können vieles, was sonst niemand kann.

Wenn wir nun noch die Verantwortung übernehmen, die mit einer solchen Allmacht einhergeht, dann haben wir´s schon fast geschafft. Die Erde ist gewissermaßen unser Körper. Es wäre wunderbar, mit ihr in Einklang zu leben. 

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