· 

Ganz schnell Gott werden?

Ein 78-jähriger, körperlich und geistig gesunder Mann hat nach dem Tod seiner Frau den Wunsch, sich professionell töten zu lassen. So die Geschichte aus der Feder des Ferdinand Schirach, welche die ARD am 22.11.2020 zur besten Sendezeit ausstrahlte. Der Film hieß "Gott" und das Fernsehpublikum durfte live über die Zulässigkeit der gewünschten Tötung abstimmen. Anschließend gab es eine Diskussion bei "Hart aber fair" mit Frank Plasberg.

Streng genommen stehen hier zwei Fragen zur Debatte. Darf der Mensch den Zeitpunkt seines Todes selbst wählen oder muss er sich seinem Schicksal fügen? Und wenn es denn sein muss: Soll er diesen Schritt selbst tun, oder darf er die Tötung einem anderen auferlegen?

Ein kleiner (geistes-)geschichtlicher Überblick

Schon die tragischen Gestalten der Antike sollen teils freiwillig aus dem Leben geschieden sein. Aber ob Cleopatra sich tatsächlich von einer Schlange beißen ließ, lässt sich wohl ebenso wenig klären wie die Frage, ob sich Dido wirklich mit dem Schwert ihres geflohenen Liebhabers erstach.

Der Freitod modernerer Personen ist besser belegt. Sigmund Freud ließ sich von seinem treuen Leibarzt eine tödliche Dosis Morphin verabreichen, als der Krebs seine letzten klaren Gedanken zu vertreiben begann. Ernest Hemingway folgte dem väterlichen Beispiel und setzte seinen seelischen Nöten ein Ende, indem er sich mit seinem Lieblings-Gewehr erschoss. Stefan Zweig und seine Frau Lotte fanden im brasilianischen Exil Trost noch Ruhe. "Aus freiem Willen und mit klaren Sinnen" schieden sie mithilfe von Veronal aus dem Leben.

Die Reihe ließ sich lange fortsetzen. Laut statistischem Bundesamt suizidierten sich in Deutschland zuletzt durchschnittlich 25 Menschen pro Tag (Jahr 2019). Manch einer ertappt sich bei einem mulmigen Gefühl. Wäre es nicht auch anders gegangen? Hätte z.B. Zweig nicht noch drei Jahre aushalten können? Er wäre dann 65 Jahre alt gewesen und einer Heimkehr in´s geliebte Europa wäre nichts mehr im Wege gestanden...


Philosophie und Religion setzen sich zumindest seit der Antike intensiv mit der Legitimität des Suizids auseinander.  Hegesias befürwortete den Selbstmord und konnte wohl einige Menschen für diese Idee gewinnen. Platon hingegen lehnte den Selbstmord grundsätzlich ab. Kirchenvater Augustinus schloss sich Platons Argumenten an und interpretierte das fünfte Gebot ("Du sollst nicht töten") gleichsam als Suizid-Verbot.

Im Judentum ist ein Selbstmord nur dann in Ordnung, wenn er ein religiös begründetes Martyrium verhindern hilft. Buddhismus und Hinduismus haben ein teils komplexes Verhältnis zu Selbstmord. Einigen hinduistischen Witwen schien es jedenfalls aus religiösen Gründen ratsam, in´s Leichenfeuer ihres Gatten zu springen. Der Islam ist von außen nicht immer leicht zu verstehen. Einige Selbstmordattentäter scheinen sich zumindest auf gute Aussichten im Paradies zu verlassen.

Die Aufklärung versuchte, sich von der Religion zu lösen, und nahm die Kraft der klaren Gedanken für sich in Anspruch. Kant und Hegel konnten aus rationalen Analysen kein Recht auf Selbstmord ableiten. Später lehnte auch Albert Camus den Selbstmord vehement ab. Er schätzte es als zutiefst menschlich ein, die Absurdität des Lebens zu ertragen.

Das letzte Wort haben oft die Juristen. In Israel galt (erfolgreicher) Selbstmord bis 1966 als Straftat. Das machte aber streng genommen wenig Sinn und kann als eher bizarrer Versuch der Abschreckung gelten. In Deutschland ist der Suizidversuch grundsätzlich straffrei. Umstrittener sind dagegen Themen wie Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord sowie die Tötung auf Verlangen. 

Seit 2015 und bis vor kurzem war die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung in Deutschland noch strafbar. Doch Anfang 2020 hat das Bundesverfassungsgericht diese Bestimmung für ungültig erklärt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht beinhalte einen Anspruch auf einen selbst gewählten Tod. Dafür müsse man nicht einmal krank sein. Man müsse es nur wirklich wollen. Man dürfe dafür grundsätzlich Hilfe in Anspruch nehmen.

Warum ein Film?

Dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichtes war eine echte Zäsur in der Diskussion um den assistierten Suizid. Das Urteil wurde zwar in den Nachrichtensendungen und Zeitungen besprochen, dennoch entstand keine breite öffentliche Debatte. Ohne einen eigenen Berührungspunkt schien das Thema nicht sehr verlockend. 

Ferdinand Schirach versuchte sich nun in einer massentauglichen Aufbereitung des Ganzen. Der Film "Gott" präsentierte ein beispielhaftes fiktives Geschehen in Form eines unterhaltsamen Spielfilms. Er erreichte damit eine Millionenpublikum. Dieses Millionenpublikum wurde anschließend zur Abstimmung aufgerufen.

Bewegte Bilder sind mächtig. Geschichten kann man so oder so erzählen. Drehbuchautor, Kameramann und Regisseur haben subtile Instrumente in ihrem Werkzeugkasten. Wer ist gut, wer ist böse? Wer ist menschlich, wer verstockt? Was ist richtig, was ist falsch? Bleibt dies tatsächlich dem Urteil des Zuschauers überlassen oder ist es im Erzählstrang des Filmes angelegt.

Knapp 4 Millionen Menschen sahen den Film. 70% des Publikums befürworteten es, dass dem gesunden Protagonisten ein tödliches Medikament verabreicht wird. 

Natürlich könnte diese fiktive Geschichte im besten Fall eine tiefergehende Beschäftigung mit dem Thema des assistierten Suizids anregen. Aber eine eindeutige Festlegung - und sei es auch nur in einem fiktiven Einzelfall - macht eine weitere, ergebnisoffene Beschäftigung mit dem Thema nicht unbedingt leichter. Es ist einfacher, eine Entscheidung offen zu halten als eine Festlegung zu revidieren. 

Über den Wert von Grauzonen

Manchmal haben Grauzonen ihre Berechtigung. Nicht nur beim Thema Sterbehilfe. 

Darf man ein entführtes Flugzeug abschießen, dass sich anschickt in ein Hochhaus zu fliegen? Darf man einem Entführer Folter androhen, wenn man sich erhofft, dadurch das Leben des Entführten zu retten? Darf man ein Kind im Mutterleib töten, obwohl das nach der Geburt nicht mehr denkbar wäre?

Wer auf diese Fragen eindeutige Antworten parat hat, macht es sich womöglich zu einfach. Ähnlich scheint es sich mit der Frage nach der gewerblichen Beihilfe zum Selbstmord zu verhalten. Vielleicht gibt es einfach keine gute Lösung. Vielleicht gibt es kein "richtiges" Flussdiagramm, welches sich Punkt für Punkt abarbeiten lässt.

Nur eines scheint mir sicher. Ein anderthalbstündiger Spielfilm mit anschließender Abstimmung ist keine gute Basis für irgendeine halbwegs endgültige Antwort. Eine Gesellschaft, die sich eine dezidierte Regelung des Freitodes zutraut, sollte sich damit nicht zufrieden geben.

Write a comment

Comments: 0