Erforschung der Ungleichheit

von Malthus über Marx bis Piketty

Ungleichheit beschäftigte die Menschen schon immer. Detaillierte Beschreibungen der Ungleichheit fanden seit jeher Eingang in unzählige Gesellschaftsromane. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts entwickelten Denker wie Thomas Malthus, David Ricardo, Karl Marx und Adam Smith verschiedene Theorien über die Ursachen und die Folgen von Ungleichheit.

Diese teils sehr unterschiedlichen Theorien beruhten allesamt auf guten Beobachtungen und meist nachvollziehbaren Überlegungen. Es gab jedoch keine guten Daten, um die Theorien zu überprüfen. Die Vorhersagen vieler Theorien wurden zudem oft durch unerwartete Entwicklungen zunichte gemacht.

Der erste Forscher, der belastbare Daten zusammenstellte, war Simon Kuznet. Er untersuchte die Entwicklung der Ungleichheit in den USA von 1913 bis 1948. Während es offensichtlich schien, dass die Ungleichheit im 19. Jahrhundert stark zugenommen hatte, fand Kuznet für die Zeit nach dem ersten Weltkrieg eine kontinuierlich Verringerung der Ungleichheit. Dies war ein erfreuliches Ergebnis. Man konnte dem Schreckgespenst des Kommunismus eine Verringerung der Ungleichheit auch in marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaften entgegenhalten.

Kuznet war sich durchaus bewusst, dass die beiden Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise erheblichen Anteil an der beobachteten Verringerung der Ungleichheit hatten. Aber er ging davon aus (und hoffte es nach eigenem Bekunden inständig), dass die Ungleichheit ab einem gewissen Punkt in jeder wohlhabenden Gesellschaft auch ohne destruktive Ereignisse abnehmen würde. Damit lag er leider daneben.

Trotz seiner offensichtlich falschen Schlussfolgerung stellt die Arbeit von Simon Kuznet einen Wendepunkt in der Geschichte der Ungleichheits-Forschung dar. Er hatte gezeigt, dass dieses Thema abseits ideologischer Lagerkämpfe der wissenschaftlichen Untersuchung zugänglich ist. Ihm war das gelungen, was im Englischen "the proof of the principle" genannt wird.

Seither entwickelt sich die Szene rege weiter. Es wurden andere Länder und längere Zeiträume untersucht. Es wurden neue Methoden entwickelt, um auch die Zeiten vor Einführung der Einkommenssteuer untersuchen zu können. Ab den 1970-er Jahren wurden große Haushaltserhebungen durchgeführt, um eine differenziertere Einschätzung des pro-Kopf-Einkommens zu ermöglichen. Es entstand ein Netzwerk, welches einen immer besseren Überblick über die globale Entwicklung erlaubte.

Thomas Piketty hat der Ungleichheitsforschung in seinem Werk "Das Kapital im 21. Jahrhundert" einen weiteren Schub verpasst. Das viel beachtete Werk, welches umfangreiche internationale Datenreihen  präsentiert, ist einerseits für den interessierten Laien verständlich, andererseits ist die umfangreiche Datenbasis im Netz allseits verfügbar. Die dadurch entstandene Transparenz hat die Forschung auf dem Gebiet der Ungleichheit auf ein neues Niveau gestellt.

Gabriel Zucman, ein Mitarbeiter, dessen "Genauigkeit und beeindruckende Leistungsfähigkeit" Piketty in der Danksagung seines Werkes hervorhebt, gilt mittlerweile als führender Experte in Sachen Steueroasen und hat diesbezüglich ebenfalls laienverständliche Literatur verfasst (siehe auch Buchempfehlungen).