Mineralische Rohstoffe und nicht-materielle Ressourcen - wie z.B. Wind und Sonne - sind ungleich verteilt. Länder sind zudem verschieden groß. Das klingt banal. Aber die Fläche der Erde ist begrenzt und somit eine der kostbarsten Ressourcen überhaupt.
Ein verlockendes Konzept wäre, dass jedes Land mit den eigenen Ressourcen zurecht kommen muss - auch und vor allem hinsichtlich der benötigten Energie. Dieses Konzept verschiebt die Idee des vollkommen autarken Bauernhofes auf die nationale Ebene. Kann sich Deutschland nicht einfach selbst versorgen? Ist das die Zukunft?
Die Vergleich mit dem autarken Bauernhof trägt weit. John Seymour schrieb 1976 "Das große Buch vom Leben auf dem Lande" (im Original "The Complete Book of Self-Sufficiency").
Die Idee war bestechend. 5 Morgen "gut drainiertes" Land, also ca. 2 Hektar oder 20.000 m2, sollten eine 6-köpfige Familie vollständig versorgen, inclusive Energie und Fleisch - und zudem verkaufbare Überschüsse ermöglichen.
John Seymour bezeichnete die Selbstversorgung als Fortschritt hin zu einem höheren Lebensstandard. Viele seiner Überlegungen sind nachvollziehbar und sprechen grundsätzliche Bedürfnisse und Sehnsüchte an. Doch in seinem absoluten Anspruch muss der Ansatz scheitern. Und auch die konkreten Empfehlungen erwiesen sich in vielen Fällen als nicht umsetzbar. Dementsprechend wurde das Buch bald als "Das große Märchenbuch vom Leben auf dem Lande" verhöhnt.
Viele Menschen erhoffen sich von der Energiewende ein hohes Maß an Autarkie. Wie schön wäre es, wenn wir nicht abhängig wären von Schurkenstaaten wie Russland oder Saudi-Arabien. Schließlich sind Wasser, Sonne und Wind grundsätzlich fast überall vorhanden. Haben wir in Deutschland die Chance, all unsere Energie künftig selbst zu produzieren? Können wir grün und autark werden? Und trotzdem handelbare Überschüssen produzieren, wie John Seymour auf seinen 5 Morgen Land?
Etwas von allem mag es tatsächlich fast überall geben. Aber diese Karte des Deutschen Zentrums für Raum- und Luftfahrt (2005) illustriert sehr anschaulich die Ungleichverteilung von Wasser, Wind, Luft und Erdwärme.
Berühmt wurden vor allem die roten Quadrate in der Sahara. Die nutzbare Sonnenenergie des größten Quadrates in der Sahara sollte den Strombedarf der Erde für das Jahr 2005 decken.
Das Quadrat ist deutlich kleiner als Deutschland. Zudem befände es sich in einem praktisch unbesiedelten Gebiet mit nur äußerst geringer Bioproduktivität und Artenvielfalt. Hier wird schnell ersichtlich, dass sowohl die Kraftquellen der Erneuerbaren Energien als auch entscheidende Rahmenbedingungen für ihre intensive Nutzung ungleich verteilt sind.
Die dargestellten Windräder zeigen, dass auch der Wind nicht überall gleich stark weht. Und ein Blick nach Island verdeutlicht die ungleiche Verteilung von geothermischen Energiequellen.
Als noch bedeutsamer mag sich aber die globale Verteilung von Rohstoffen herausstellen, welche für die Herstellung von Sonnenkollektoren, Windkraftanlagen und Batterien benötigt werden. Spätestens hier wird deutlich, dass die meisten Länder keine Chance auf eine wahrhaft autarke Energieproduktion haben.
Lithium, Cobalt, seltene Erden... Der Wettlauf um die Mineralien der Zukunft hat längst begonnen. Geopolitik wird auch im Zeitalter der Erneuerbaren Energien ein zentraler Bestandteil der Energiepolitik bleiben
Doch bislang ist die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen noch immer sehr hoch. Die Weltbevölkerung bezieht noch ca. 84% ihrer Energie aus Kohle, Öl und Gas (36). Gesegnete Länder mit entsprechend hohen Fördermengen wussten und wissen ihre Ressourcen gewinnbringend einzusetzen. Die Macht und Sicherheit dieser Länder basiert nicht zuletzt auf ihrem Reichtum an fossilen Brennstoffen. Diese Länder können die Energiewende als existentielle Bedrohung erleben.
Eines dieser Länder ist Russland. Hier konnte sich abseits der fossilen Brennstoffe keine international bedeutsame Wirtschaftskraft entwickeln, die nur annähernd der Größe des Landes entspricht. Vielleicht dachte man, man könne ewig von Kohle, Gas und Öl leben.
Man sollte sich vor vermeintlich monokausalen Zusammenhängen hüten. Dennoch erscheint es nicht sehr überraschend, dass ausgerechnet dieses Land mit dem Krieg in der Ukraine eine Zeitenwende in Europa eingeleitet hat. Man könnte in diesem Angriffskrieg auch das Um-Sich-Schlagen eines Ertrinkenden sehen, eine bitter fehlgeleitete Reaktion auf nur zu berechtigte Zukunftsängste.
Nicht zuletzt finden sich erhebliche Abhängigkeiten von fossilen Brennstoffen auch auf Seite mächtiger Unternehmen. Die Bedrohung, die für diese Unternehmen von der Energiewende ausgeht, hat sie zu einer effektiven Desinformationskampagne und zu einer erheblichen Einflussnahme auf die Politik getrieben.
Staaten und Unternehmen, deren Wohlergehen von fossilen Brennstoffen abhängen, brauchen eine Exit-Strategie und neue Perspektiven. Alleine die moralische Ächtung ihrer Strategien und Geschäftsmodelle wird ihren Widerstand nicht brechen.