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Vielfalt braucht Barrieren



Welche Vielfalt darf´s denn sein?


Viele Menschen plädieren für eine bunte, vielfältige Gesellschaft und für offene, barrierefreie Übergänge. Gerade die unbegrenzte Durchmischung verschiedener Kulturen und der globale Austausch von Gütern werden dabei oft als fortschrittlich und bereichernd empfunden. Doch das gilt nur für den subjektiven und damit zwangsläufig engen Horizont, der die eigene Erlebniswelt begrenzt. 

Außerhalb dieser unmittelbaren, persönlichen Erlebniswelten nimmt die globale Vielfalt derzeit dramatisch ab. Dies betrifft so unterschiedliche Bereiche wie eigenständige Kulturen, traditionelle Gepflogenheiten, individuelle Lebensentwürfe, gesprochene Sprachen und soziale Ordnungen. Nicht zuletzt die Artenvielfalt erlebt eine erdhistorische Krise. 


Des Kleinen Freud, des Großen Leid


Die Bereicherung der persönlichen Erlebniswelt und die Verarmung der globalen Vielfalt stehen in einem engen, wenig beachteten Zusammenhang. Denn beide Phänomene sind lediglich zwei Seiten einer Medaille. Beiden Phänomenen liegt eine rasant zunehmende Mobilität im Personen- und Güterverkehr zugrunde. Frühere Barrieren wie Meere, Gebirge, Wüsten oder die schiere Entfernung wurden spielerisch überwunden - mit erheblichen Folgen.


Arten sterben aus, weil invasive Arten weltweit verteilt werden. Die Schifffahrt der großen Entdecker machte den Anfang. Jede Menge Ratten, Katzen, Ziegen und Schweine wurden auf bislang raub- und säugetierfreie freie Inseln verteilt. Sie fraßen alles, was Ihnen in den Weg kam. Ihr Beute war ökologisch naiv. Die Liste der dadurch ausgestorbenen Tier- und Pflanzenarten füllt etliche Seiten.

Doch das Ganze war nur eine Art Auftakt für das große, zerstörerische Spektakel der fast-track-Globalisieung. Weltweit - und auch in unserer Heimat - nimmt die Artenvielfalt deutlich ab, sei es durch eingeschleppte Parasiten, durch Verdrängung oder oder durch fremde Raubtiere. 

Natürlich gibt es auch andere Ursachen für das Artensterben. Doch auch diese hängen meist eng mit den Prozessen der Globalisierung - also der Überwindung von Barrieren - zusammen.

Eine Bestätigung findet sich auch in der Erdgeschichte. Auch dem vormaligen Superkontinent Pangäa waren alle Kontinentalmassen vereinigt. Es gab keine Ozeane zwischen den Kontinenten. Es gab weniger Barrieren. Die Artenvielfalt war deshalb gering. Nach dem Zerbrechen von Pangäa entstanden die Weltmeere. Die Zahl der Barrieren und damit auch die Zahl der Arten nahmen deutlich zu. Aktuell sind wir dabei, die Landmassen der Erde wieder zu vereinen, indem wir ihre Bewohner durchmischen. 


nicht nur die Arten sterben aus


Aber nicht nur in der Natur schwindet die globale Vielfalt. Auch die menschliche Kultur wird zunehmend eintönig. Im Bereich der Sprachen sind erhebliche Verluste zu verzeichnen. Handelsketten überhäufen die Erde mit uniformen Produkten. Traditionen sterben aus oder wandern in´s Museum. Einzelne Idole werden weltweit vermarktet und verdrängen die Lokalmatadoren von den Spitzenplätzen. Fernsehen und Radio sind in der Hand mächtiger Konzerne. Wenige Global Player spielen mit wachsenden Weltbevölkerung.

Aussterben ist ein stiller Prozess - in der Natur wie in der Kultur. Irgendwann merkt man, dass es irgendetwas nicht mehr gibt. Doch die Verluste sind endgültig. Das gute alte Gleichgewicht aus Werden und Vergehen ist in einer dramatischen Schieflage. Die Vielfalt schwindet dahin wie eine Sandburg in der unbarmherzigen Flut.

Ein hoher Preis für den schnellen Genuss

Die Abnahme der globalen kulturellen und natürlichen Vielfalt ist letztlich der unvermeidliche Preis für die unkomplizierte Bereicherung der individuellen Lebenswelten. 

Der historische "Kompromiss" (oder die historische Balance) bestand darin, dass das Erleben von Vielfalt mit Ungewissheit, Aufwand und auch mit teils erheblichen Risiken verbunden war, die nicht von jedem in Kauf genommen wurden. Dadurch fand befruchtender Austausch im kleineren Stil statt. Ab und zu kam es auch zu größeren Bewegungen, das nannte man dann "Völkerwanderung". Doch mittlerweile ist Routine eingekehrt in die globalisierte Welt. Der weltweite Austausch ist eng getaktet. Zeit ist Geld - auch und vor allem hier.

Aus einer subjektiven Perspektive heraus könnte man geneigt sein, den Verlust der globalen Vielfalt zugunsten der "privaten Vielfalt" zu akzeptieren. Denn was soll man mit einer Vielfalt anfangen, die man selbst nicht erleben kann?


Egoismus ist (auch hier) kurzsichtig


Sollten wir uns nicht besser an diesen Prozess gewöhnen, als ihn zu bekämpfen. Wer hat schon etwas von einer Vielfalt, von der man selbst nicht profitiert? Wieso nicht einfach egoistisch sein?

Die Antwort ist einfach. Diese Art von Egoismus würde nicht gut ausgehen. Die kulturelle und natürliche Vielfalt ist eine unabdingbare Voraussetzung für ein Mindestmaß an Stabilität und Flexibilität. Die Reduktion der Vielfalt bis hin zur Einheitlichkeit läuft dagegen auf ein Alles-oder-Nicht-Spiel hinaus, welches langfristig nur verloren werden kann.


Was tun?


Sollen wir also künstliche Barrieren da aufbauen, wo die natürlichen Hindernisse verschwunden sind? Das klingt sehr unangenehm und kaum realisierbar. Ehrlich gesagt ist guter Rat teuer, und schwer lösbare Probleme sind ziemlich lästig. Aber das Problem nur deswegen zu ignorieren, weil keine fertigen Lösungen auf dem Tisch liegen, wird es kaum besser machen. Wir brauchen den Hirnschmalz der Vielen.

Wir sollten es jedenfalls vermeiden, Eisbären am Südpol anzusiedeln, selbst wenn er am Nordpol bedroht ist. Diese Erkenntnis wäre ein guter erster Schritt auf einem langen Weg. Und der Pinguin sagt Danke.

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