Den sogenannten Demographischen Übergang kann man getrost als den wohl wichtigsten Begriff der gesamten Demographie bezeichnen. Er beschreibt sehr gut die weltweiten Entwicklungen der Moderne und steht im Zentrum aller demographischen Prognosen. Auch für konstruktive Lösungsansätze - denn die gibt es tatsächlich auch auf diesem Gebiet - ist das Verständnis des demographischen Übergangs unentbehrlich.
Am Beispiel Chinas lassen sich die typischen 3 Phasen des Demographischen Übergangs hinsichtlich der Geburtenraten sehr gut beschreiben.
In einem ersten Stadium sind die Geburtenraten definitionsgemäß anhaltend hoch. In China betrugen sie meist mehr als 6 Kinder pro Frau. Dieses Stadium dauerte in China ungefähr bis 1970.
Schon vor Beginn der Ein-Kind-Politik (1980-2015) begann das zweite Stadium des Demographischen Übergangs. Dies ist gekennzeichnet durch sinkende Geburtenzahlen. Dieses Stadium dauerte in China ungefähr 30 Jahre.
Seit dem Jahr 2000 befindet sich China im Stadium 3 des demographischen Wandels. Dieser ist geprägt von anhaltend niedrigen Geburtenraten, in China unter 2 Kindern pro Frau.
Es ist erstaunlich, wie sich die Geburtenraten in nur 30 Jahren, also ungefähr innerhalb einer Generation, so dramatisch verändern können. Ähnlich ausgeprägte Veränderungen finden sich auch in zahlreichen anderen Ländern, in welchen keine politische Einflussnahme auf die Geburtenrate erfolgte. Wesentliche Ursachen des Demographischen Wandels sind Wohlstand, Bildung (vor allem auch der Frauen) und Verstädterung.
Tatsächlich gibt es kein Land auf der Erde, welches sich noch in Phase 1 des demographischen Wandels befindet. Dennoch gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Kontinenten.
Die Entwicklung der Geburtenrate in Asien ähnelt der bereits demonstrierten Kurve aus China. Im Unterschied zur chinesischen Kurve ist im aber noch ein leicht abfallender Trend zu beachten. Auch im gesamten Asien könnte die Geburtenrate bald unter 2 Kinder pro Frau sinken.
In Lateinamerika und der Karibik sieht die Kurve ähnlich aus wie in Asien. Auch hier lässt sich Phase 1 des demographischen Wandels am Anfang der Kurve noch erahnen. Auch hier ist Phase 2 des demographischen Wandels noch nicht sicher abgeschlossen, bei einer aktuellen Rate von ebenfalls ca. 2 Kindern pro Frau.
Nordamerika hatte 1950 schon einen guten Teil der zweiten Phase des demographischen Wandels hinter sich. Deswegen startete es auf einem etwas niedrigeren Niveau. Nordamerika verharrt nun seit langer Zeit auf einem Niveau von knapp 2 Kindern pro Frau. Zuletzt war wieder ein leichter Abwärtstrend zu verzeichnen.
Nur Europa weist noch niedrigere Zahlen auf als Nordamerika. Im südlichen Europa wurden nach der Jahrtausendwende Tiefstände von 1,19 Kinder pro Frau erreicht. Insgesamt stabilisiert sich derzeit die gesamteuropäische Geburtenrate aber auf einem Wert von ca. 1,6 Kinder pro Frau.
Die Kurve Afrikas unterscheidet sich deutlich von allen anderen Kurven: Das Niveau in Phase 1 des demographischen Wandels war sehr hoch. Die Geburtenraten begannen erst spät zu sinken (ca. 1985). Die Kurve geht zudem weniger steil nach unten als beispielsweise in Asien.
Dennoch befindet sich auch Afrika mitten im demographischen Wandel. Internationale faire Unterstützung wird die Geburtenrate wohl weiter und vielleicht auch schneller senken. Europa kommt hier nicht zuletzt aufgrund der Kolonialgeschichte eine besondere Bedeutung zu.
Die Unterstützung muss sich auf die Bildung (vor allem auch der Frauen), auf eine gelungene Verstädterung, auf den Schutz afrikanischer Binnenmärkte zum Aufbau von verarbeitenden Gewerben sowie auf die Bekämpfung der Korruption konzentrieren.
Gleichzeitig müssen schädliche Einflüsse wie z.B. die Subventionierung von europäischen Überschuss-Exporten und die Verwaltung korrupt erworbener Gelder in Europa zurückgenommen bzw. abgestellt werden. Dann hat Afrika genau so gute Chancen wie die anderen Kontinente auch.
Die Überalterung stellt ein unumgängliches Zwischenstadium des demographischen Wandels dar. Etwas vereinfacht gesagt gibt es in Phase 1 viele Junge und (je nach Sterblichkeit) mehr oder weniger Alte. Phase 2 führt zu weniger Jungen und (auch aufgrund einer gesunkenen Sterblichkeit) zu mehr Alten. Doch wenn die geburtenreichen Jahrgänge gestorben sein werden, wird es im Verlauf von Phase 3 zwar weiterhin weniger Junge, aber eben auch weniger Alte geben.
Die "Überalterung" der Gesellschaft wird gerne als Schreckgespenst verwendet. Aus ihr wird, völlig unabhängig von humanitären oder sonstigen Gründen, die Notwendigkeit der Immigration von vorzugsweise jungen Menschen abgeleitet. Da die Überalterung aber nur ein vorübergehendes Phänomen ist, könnte man sie auch als solches bewältigen, ohne wirkliche Langzeitfolgen einer "umgedrehten" Bevölkerungspyramide befürchten zu müssen.
Doch mehr und mehr wohlhabende Länder verabschieden Einwanderungsgesetzte mit dem Ziel, gezielt junge und gebildete Menschen in´s Land zu holen. Die Menschen kommen gerne, da sie im Zielland bessere Perspektiven sehen. Sie fehlen jedoch in ihren Herkunftsländern.
Dies könnten wir zum Anlass nehmen, jungen begabten Menschen eher gute Perspektiven in ihren Heimatländern zu ermöglichen, als aus diesen Ländern, in denen sie dringend gebraucht werden, wegzulocken. Ohne eine Bildungsschicht können die armen Länder nicht zu uns aufschließen. Das ist mittel- und langfristig auch zu unserem Nachteil, da in diesen Ländern erheblich soziale und wirtschaftliche Verwerfungen bei immer weiter wachsender Bevölkerung drohen.
Eine Geburtenrate von unter 2,1 Kindern pro Frau führt langfristig zu einer schrumpfenden Bevölkerung, zumindest wenn man die Migration außer acht lässt. Viele Länder wollen dies um jeden Preis verhindern, da sie Probleme bei den Sozialversicherungen und Nachteile im internationalen Wettbewerb fürchten. Bisherige Versuche, die Geburtenrate durch Anreize wie Kindergeld oder garantierte Kinderbetreuung zu steigern, hatten jedoch keinen durchschlagenden Erfolg.
Im Moment gehen die Demographen davon aus, dass in Ländern, die bereits Phase 3 des demographisches Wandels erreicht haben, die Geburtenraten anhaltend niedrig bleiben. Doch dafür gibt es keinen historischen Präzedenzfall. Wir betreten sozusagen demographisches Neuland.
Spätestens, wenn die Zahl der Menschen weltweit zu sinken droht oder tatsächlich zu sinken beginnt, also evtl. noch in diesem Jahrhundert, wird sich der Wettbewerb um junge Menschen wohl erheblich verschärfen. Wie einzelne Gesellschaften mit diesem Druck umgehen werden, kann kaum vorhergesagt werden. Autoritäre Regime wie China denken schon laut darüber nach, wie man die Geburtenraten wieder steigert. Und auch in freiheitlichen Systemen wird man irgendwann über deutlich gesteigerte Anreize für Kinder nachdenken.
Sinnvoller wäre allerdings ein Paradigmen-Wechsel hin zu einen Gesellschaftsmodell, welches auch mit stagnierenden und schrumpfenden Einwohnerzahlen zurecht kommt. Denn langfristig wird es bei kontinuierlich wachsender Bevölkerung keine Zukunft geben, wie sie sich der Einzelne wünscht.
Den reichen Ländern kommt bei diesem Paradigmen-Wechsel eine entscheidende Rolle zu. Sie müssen den ärmeren Länder mehr Entwicklung ermöglichen. Die Ängste, welche dadurch hervorgerufen werden, vor allem in Hinsicht auf Wohlstand und Sicherheit, müssen angesprochen und bedacht werden.