Das Bild aus dem Jahr 2007 zeigt ein Kind in den äthiopischen Simien-Bergen.
Ich weiß es nicht, wie es ihm heute geht. Aber seine Chancen auf Bildung, Wohlstand, Gesundheit und ein selbst bestimmtes Leben waren und sind relativ gering. Global gesehen hat es schlechte Karten.
Die Kinder Europas haben deutlich bessere Chancen. Sie gehören zu den Gewinnern. Sind sie deswegen auf der sicheren Seite?
Künftige Probleme und Bedrohungen lassen sich nicht mehr ein- oder ausgrenzen. Wesentliche Aspekte der Zukunft sind längst globalisiert. Wir teilen dieselbe Atmosphäre und wohnen an den gleichen Ozeanen. Wir stehen in Verbindung.
Wir reisen rund um die Welt. Wir suchen ferne Strände und fremde Kulturen. Wir wissen im Wirtschafts- und Geschäftsleben die Vorteile der Globalisierung zu schätzen. Aber spätestens wenn es um Sicherheit geht, ziehen wir uns gerne in umgrenzte und vertraute Gebiete zurück. Das funktioniert oft, aber nicht immer. Für einige Gefahren gibt es keine sicheren Rückzugsgebiete mehr.
Sicherheit ist mehr als momentane Unversehrtheit. Sicherheit braucht Perspektive. Sicherheit braucht Vertrauen in die Zukunft. Zukunft ist allerdings ein dehnbarer Begriff. Unser aktueller zeitlicher Horizont reicht selten länger als ca. 5 Jahre. Zehn Jahre sind schon viel verlangt. Probleme, die später auftreten, sollen auch später gelöst werden. Warum jetzt schon davor warnen? Warum sich jetzt schon darum kümmern? Es wird uns schon was einfallen. Das war doch schon immer so, oder?
Nein. Nichts ist so, wie es schon immer war. Auch die Welt des "reichen Westens" war nicht schon immer so. In den letzten 150 Jahren ist unsere Wirtschaft nahezu in den Himmel gewachsen. Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges ist die Beschleunigung schwindelerregend. Momentan genießen wir einen historisch beispiellosen allgemeinem Wohlstand und Komfort. Warum ist das jetzt so? Warum war es nicht schon immer so?
Vor ungefähr 150 Jahren haben wir angefangen, Erdöl, Kohle und Gas im großen Stil zu verbrennen. Seither gab und gibt es Zaubertrank für alle, die ihn selbst haben oder bezahlen können. Die fossilen Überbleibsel längst vergangener Lebenswelten machen uns reich. Wir sind grenzenlos mobil. Wir haben große und warme Häuser. Die Mühen des Alltags werden uns von Waschmaschinen, Elektroherden, Kettensägen und Rolltreppen abgenommen. Wir können mit Leuten am anderen Ende der Welt kommunizieren. Wir können sie jederzeit besuchen. Wir gestalten die Welt, wie sie uns gefällt. Wir schaffen neue Welten, wenn uns die alten überfordern oder langweilen.
Fossile Brennstoffe sind das Fundament dieses wunderbaren Reichtums. Sie machen das Unmögliche möglich. Sie schenken uns mehr Kraft als alle Sklaven der Weltgeschichte. Sie sind ein Geschenk des Himmels. Und all das soll auf einmal nicht mehr gut sein? Wir sollen aufhören, wenn´s am schönsten ist? Wir sollen tatsächlich die Verbrennung von Erdöl, Kohle und Gas einschränken? Nicht nur einschränken sondern letztlich ganz und gar beenden? Und dann? Wie soll es weitergehen? Was ist mit unserem Wohlstand? Wo bleibt unser Traum? Stürzt alles ein?
Auch die Wissenschaft hat profitiert vom zunehmenden Wohlstand des letzten Jahrhunderts. Das war teilweise unerwartet praktisch. Aber es gab auch unangenehme Überraschungen. Neue Themen drängten sich in den Vordergrund. Die Forscher erschlossen sich neue Horizonte. An den neuen Horizonten tauchten neue Gefahren auf. Im Fundament unseres Reichtums wurden hässliche Risse offensichtlich.
Die neuen Gefahren sind grundsätzlich anders als die herkömmlichen Gefahren. Der Unterschied gleicht einem Quantensprung. Das Gesamtsystem ist überlastet und bedroht. Wir haben die Grenze dessen erreicht, was wir unserem eigenen Lebensraum zumuten können. Wir haben die Grenzen nicht nur erreicht, sondern bereits überschritten. Wir können die Probleme nirgendwohin auslagern. Ein globaler Kollaps ist mehr als denkbar.
Hätte Christoph Kolumbus vor gut 500 Jahren das Amerika von heute vorhergesagt, kaum einer hätte ihm geglaubt. Eine solch langfristige Vorhersage wäre in seiner Zeit wahrscheinlich ohnehin nicht sinnvoll gewesen. Es galt, einen "neuen" riesigen Kontinent zu gestalten. Phantasien waren besser als Prognosen. Die Welt schien grenzenlos.
Heute können wir keine Nachhaltigkeit mehr gewährleisten, wenn wir nicht jetzt schon an die nächsten 50 bis 500 Jahre denken. Verglichen mit dem Tempo der Jetzt-Zeit verlief das letzte halbe Jahrtausend in unerträglicher Zeitlupe. Selbst die letzten 50 Jahre sind kein Maßstab mehr für die Geschwindigkeit des Hier und Jetzt. Wir bauen Häuser, die höher sind als Berge. Wachstum ist das Gebot der Stunde. Mit ungeheurem Schwung rasen wir in die Zukunft. Die Weltgemeinschaft sitzt in einem Zug mit 10 Millionen schweren Wagons und einer Geschwindigkeit von mindestens 350 km/h. Diesen Zug kann man nicht einfach anhalten. Man muss ihm die richtige Richtung geben. Das braucht Mut, Kraft und Zeit. Und Entschlossenheit. Wenn wir jetzt trödeln müssen wir es später büßen. Die Zeit rennt uns davon. Deswegen reicht es nicht mehr, in Jahren zu denken. Um heute die richtigen Weichen zu stellen, müssen wir auch die kommenden Jahrzehnte und Jahrhunderte in unsere Überlegungen mit einbeziehen. Früher war die Erde unvorstellbar groß. Heute ist sie bereits deutlich zu klein. Wir können die Erde sprengen, aber nicht erweitern.
Nie hätten wir uns vorstellen können, dass wir durch Verbrennen von Öl, Kohle und Gas tatsächlich die gesamte Atmosphäre verändern (2,10,11,13,15). Nie hätten wir uns vorstellen können, dass wir einen ganzen Ozean überdüngen können (13,14,16). Nie hätten wir uns vorstellen können, dass der Mensch nach 65 Millionen Jahren wieder ein globales und erdhistorisches Artenmassensterben verursacht (1,4,5,7).
All diese Dinge sind in vollem Lauf. Es geht um mehr als um Ästhetik. Alle Kinder und Kindeskinder dieser Erde teilen diese erhebliche Risiken. Die Beweislage ist erdrückend. Die warnenden Stimmen publizieren regelmäßig in Nature und Science. Doch die Themen werden nicht ausreichend in den öffentlichen Diskurs übernommen. Außerhalb der Fachwelt redet fast niemand darüber - und wenn, dann um zu relativieren und zu beschwichtigen. Wer nicht relativiert, droht zu resignieren. Die Größe der Aufgabe ist entmutigend. Die Zeitungen und Nachrichtenmagazine trauen sich nur selten aus der Deckung. Im deutschen Duell der Kanzlerschaftskandidaten 2017 wurde von den 4 beteiligten großen nationalen Sendern keine einzige Frage zur Umwelt- oder Klimapolitik gestellt. Dafür mussten Frau Merkel und Herr Schulz vor einem Millionenpublikum berichten, wann sie zuletzt in der Kirche waren.
In seltenen Momenten wird internationale Entschlossenheit vorgetäuscht. Paris 2015? Das klang wirklich vielversprechend! Wahrscheinlich glaubten sogar die politischen Akteure für einen Moment an ihre guten Absichten. Wir alle waren dankbar für diese wohltuende und unverbindliche Beruhigungspille. Doch die Wirkung lässt nach. Keine bedeutsame Industrienation wird ihre selbstgewählten Vorgaben erfüllen. Wir brauchen eine neue Pille, dringend! Niemand will als Pessimist gelten. Niemand will die anderen nerven. Wir verharren in Schockstarre und bestellen den nächsten Drink. Irgendjemand wird´s schon richten: der liebe Gott, die Politik, der Markt....
Die Überbringer von schlechten Botschaften waren noch nie beliebt. Früher wurden sie geköpft. Heute muss man sich was anderes ausdenken. Ein neues Feindbild scheint da vielversprechend. Gut organisierte Interessensverbände streuen erfolgreich Zweifel und Skepsis in die ohnehin ratlose Bevölkerung. Was oft gesagt wird, wird oft geglaubt, besonders wenn es einem in den eigenen Kram passt. Rufe werden laut. "Das stimmt doch nicht! Ihr könnt es nicht beweisen! Die Ökodiktatur will unsere Individualrechte einschränken! Wer will schon zurück in die Höhle? Die anderen werden uns überholen! Wenn wir´s nicht machen, macht es China! Nieder mit den Pessimisten!" Eine zutiefst verunsicherte Gesellschaft wehrt sich mit Händen und Füßen gegen die Verkündung unliebsamer Tatsachen.
Doch muss man in der Feststellung, dass unser heutiger Lebensstil nicht zukunftsträchtig ist, wirklich eine schlechte Botschaft sehen? Lieben wir nicht auch die Herausforderung? Sind wir nicht neugierig darauf, wie wir es schaffen können? Die Welt ernähren ohne die Äcker zu vergiften? Strom erzeugen ohne die Erde zu erhitzen? Glücklich sein ohne Fernflug-Flat? Die Vielfalt erhalten ohne schmerzlichen Verzicht? Eine Zukunft haben, an die man glauben kann?
Viele Menschen würden gerne weitermachen wie bisher. Viele wollen glauben, dass sich alle unliebsamen Probleme irgendwann - paff! - in Luft auflösen. Erderwärmung und Artensterben - irgendwann soll in den Nachrichten kommen, dass alles ein großer Irrtum war. Die Wissenschaft wäre blamiert! Und nach den Nachrichten würde John Wayne durch die Prärie reiten und alle sonstigen Probleme regeln...
Andere wissen, wie es wirklich steht. Sie kalkulieren. Sie zünden Blendgranaten, die den Blick auf´s Wesentliche verhindern. Sie nehmen mit, was noch zu holen ist. Die Reichen kaufen sich Inseln und bauen darauf sturmfeste Häuser. Sie bewässern ihre Gärten und ersetzen entwurzelte Bäume. Sie sorgen für ihre Sicherheit. In dieser behaglichen Atmosphäre arbeiten sie an ihrer ureigensten Vision: Der ewigen Mehrung von Wohlstand, Macht und Ansehen.
Mit ein bisschen Glück und viel Geld müssen die Privilegierten dieser Erde die volle Wucht der Konsequenzen unseres historischen Irrweges tatsächlich nicht mehr selbst erleben. Aber das klingt irgendwie zynisch, oder?